Cover
Titel
Hin und her – Dialoge in Museen zur Alltagskultur. Aktuelle Positionen zur Besucherpartizipation


Herausgeber
Stieglitz, Leo von; Brune, Thomas
Reihe
Edition Museum 9
Anzahl Seiten
144 S., zahlr. z.T. farb. Abb.
Preis
€ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frauke Miera, Miera / Bluche - Ausstellen, Sammeln, Partizipieren, Berlin

„Besuchereinbindung, Wahrnehmungsverhalten“ und „Dingbedeutungen“ waren Themen der Tagung „Hin und Her. Grundfragen des Dialogischen an Museen zur Alltagskultur“, die die Kommission Sachkulturforschung und Museum in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde Ende 2012 in Waldenbuch veranstaltete. Anlass war die Neueröffnung von Teilen der Ausstellung im Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch. Im Fokus standen Stadt- und Heimatmuseen, Freilichtmuseen und „große Museen mit volkskundlichen Sparten“ (S. 8). Die Publikation zur Tagung lässt eine Auseinandersetzung mit dem in der Museumswelt zunehmend, aber oft unscharf verwendeten Begriff der Partizipation erwarten. Interessanterweise erläutert der Herausgeber Leo von Stieglitz jedoch in seiner Einführung, dass man sich in der Vorbereitung der Tagung gegen den Begriff Partizipation entschieden habe. Bezugnehmend auf einzelne partizipative Ausstellungs- und Museumsprojekte konstatiert von Stieglitz, diese hätten „durchweg die Gegenwart zum Thema“, richteten sich „in den meisten Fällen an ein umgrenztes Ansprechpublikum, seien es Migranten, Bewohner eines Stadtteils oder einer ganzen Stadt“ und die „allermeisten Partizipationsprojekte“ dienten der Vorbereitung von noch nicht eröffneten Museen (S. 11). Damit erschöpft sich leider die Rezeption und Diskussion der gegenwärtigen Theorie und Praxis partizipativer Projekte. Weder erwähnt von Stieglitz die Facetten und Herausforderungen von Partizipation in der Vorbereitung und während der Laufzeit einer Ausstellung oder beim Aufbau oder dem Neusichten von Sammlungen, noch geht er auf die Implikationen oder Motivationen von Museen ein, partizipativ zu arbeiten, sei es, die Besucherzahlen zu erhöhen, oder die museale Erzählung zu diversifizieren und bisher ausgegrenzte Perspektiven und Blickwechsel zu ermöglichen.

Stattdessen, so von Stieglitz weiter, habe man für die Tagung den Begriff „Dialog“ gewählt, um „die besondere Situation derjenigen ins Auge zu fassen, die auf ein extrem heterogenes Publikum treffen und auf möglichst Viele partizipativ eingehen wollen“ (S. 11). Ein wichtiger Aspekt des „Dialogs“ sei es, die Besucher ernst zu nehmen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Diese Anliegen verfolgen wiederum auch viele partizipative Projekte, wobei der Anspruch der Begegnung auf Augenhöhe beim Dialog wie bei der Partizipation oft die Definitionsmacht von Museen unbeachtet lässt.

Davon abgesehen versammelt der Band interessante Beiträge, die teilweise den Begriff Partizipation benutzen und teilweise nicht, zu den Verhältnissen zwischen Besucher/innen und Museen, Besucher/innen und Objekten, Authentizität und Inszenierung.

Der zweite Herausgeber des Bandes und Leiter des Museums der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch Thomas Brune skizziert, „wie Museen zur historischen Alltagskultur auf unterschiedlichen Ebenen dem Dialogischen Gestalt geben können“ (S. 19). Er fragt, wie Museen die Dinge zum Sprechen bringen können. Statt einer „Einbahnkommunikation“ (S. 24), in welcher die Kuratoren dem Publikum die Dinge erklären, solle das Denken, Assoziieren der Besucher, der eigene Dialog des Besuchers mit den Dingen erlaubt sein.

Thomas Thiemeyer fragt, „welche Sprache die Dinge heute noch im Museum sprechen (können) und welche Ideen von den Dingen die museale Praxis der Gegenwart bestimmen“ (S. 42). Er identifiziert drei Konfliktlinien, entlang derer die Ansichten über die Wirkung der Museumsdinge divergieren können und kommt zu dem Schluss, dass die wachsende Orientierung von Museen an Szenographie und „Erlebnisfabrik“ die Frage nach der Relevanz von Objekten aufwerfe; insofern seien gute Argumente erforderlich, die die Wirkung der Originale plausibel mache.

In ihrem Werkstattbericht beschreibt Nina Hofmann den Versuch einer möglichst vollständigen Rekonstruktion des Jugendzimmers einer 1956 geborenen Frau im Museum der Alltagskultur Schloss Waldenbuch. Sie beschreibt den Prozess, wie aus den Erzählungen der Frau und den Recherchen über zeittypische Gegenstände das Zimmer nahezu vollständig rekonstruiert wurde, und zwar mit persönlichen Dingen der Frau und zusätzlichen zeitgenössischen Objekten. Am Ende sei für die Zeitzeugin „alles stimmig“ gewesen; „viel näher kann man der Wirklichkeit im Rahmen einer Ausstellung nicht kommen“, resümiert Hofmann, ohne zu fragen, wie „wirklich“ oder wie überformt, auch durch ihr eigenes Nachfragen, die Erinnerung sein kann (S. 63).

Die Relevanz von originalen, aber nicht authentischen Objekten für Inszenierungen stellt Yannick Opalla in seinem Beitrag „Authentisch, und deshalb...?!“ in Frage. Zusammenfassend nennt er drei Begründungen für die Relevanz des Authentischen, die allerdings ein wenig tautologisch erscheinen: Authentizität als besondere Qualitiät des Objekts, als Wunsch der Besucher und als per Definition Grundvoraussetzung des Museums.

Das „Brede Works – Museum of Industrial Culture“, Teil des dänischen Nationalmuseums, versucht, die Besucher/innen mit spielerischen, interaktiven Mitteln dazu zu animieren, sich mit den Hintergründen gesellschaftlicher Konflikte auseinander setzen. Anhand von Objekten und historischen, gesellschaftspolitischen Konfliktsituationen sind die Besucher/innen eingeladen, sich zu sogenannten Dilemma-Fragen zu verhalten. Selbstkritisch reflektiert Lars K. Christensen, Kurator am dänischen Nationalmuseum, warum ein zusätzliches Element, eine „Speakers Corner“, scheiterte, in der die Besucher/innen dem Museumspublikum ihre persönliche Meinung kundtun sollten. Solche Projekte müssten stärker durchdacht werden und Ausstellungen „verständlich, relevant und anregend“ sein (S. 83).

Während, wie oben erwähnt, Thiemeyer mit der zunehmenden Orientierung auf die Szenographie die Relevanz des Objekts tendenziell in Frage gestellt sieht, argumentieren Uwe R. Brückner und Linda Greci in ihrer Eigenschaft als Szenograf/innen der Ateliers Brückner, dass das „Museum Szenografie braucht“ (S. 87). Hierbei seien objektorientiertes und inszenatorisches Gestalten kein Widerspruch. Das Raumbild ermögliche „den Dialog zwischen Raum und Inhalt, zwischen Artefakt und Rezipient“, der Besucher könne so Teil der Inszenierung werden (S. 93). Als Begründung für die Notwendigkeit von Szenografie nennen Brückner und Greci „(den) demographischen Wandel oder (das) verändert(e) Rezeptionsverhalten der Besucher“ (S. 88). Um diesen Herausforderungen zu begegnen, „müssen sich Kuratoren, Gestalter, Kulturmanager und Künstler, alle Museumsmacher an einen Tisch setzen“ (S. 88). In einem Band über Dialog und Partizipation und beim Hinweis auf Demographie wäre hier zumindest eine Bezugnahme auf die Beteiligung (potenzieller) Besucher/innen in der Szenographie interessant gewesen.1

Diesen Bezug nimmt Barbara Keller in ihrem Beitrag vor, die am Beispiel der szenografischen Ausstellung „Berge versetzen“ die Konzeption von Besucherpartizipation am Alpinen Museum der Schweiz skizziert. Die Ausstellung, in der Alltagsgegenstände nach ästhetischen Gesichtspunkten in eine „Auslegeordnung“ gebracht wurden, „dient dem Betrachtenden als Assoziationsraum für eigene Erinnerungen, Erfahrungen und Wahrnehmungen“ (S. 109). „Die Ästhetik schafft Aufmerksamkeit und Genuss“, die wiederum dem „(Publikum helfen), Aufgeschlossenheit gegenüber den Objekten zu entwickeln“ (S. 109). Im zweiten Teil der Ausstellung konnte das Publikum über den Verbleib von Objekten in der Sammlung entscheiden und zur Frage „Wozu ein Alpines Museum“ Stellung beziehen.

Im Projekt EyeVisit wurde die psychologische Forschung für das Kunstmuseum genutzt. Ziel des Informationssystems EyeVisit ist es, auf die Besucher/innen individuell zugeschnittene Informationen multimedial zur Verfügung zu stellen. Peter Gerjets stellt das Kooperationsprojekt vor, mit welchem unter anderem dem Dilemma begegnet werden soll, dass Besucher/innen einerseits Begleitinformationen zu Werken in Kunstmuseen wünschen, andererseits aber erläuternde Medien oft als Beeinträchtigung des ästhetischen Genusses angesehen werden oder nicht ausreichend individuell steuerbar sind.

Schließlich diskutiert Nina Gorgus am Beispiel der Aktivitäten am „historischen museum frankfurt“ die Potenziale von Social Media, das Dialogische im Museum zu fördern. Sie verdeutlicht, wie das Museum mit Videokanälen, Fotoplattformen, Soziale Netzwerke oder Blogs ein größeres Publikum über Objektrecherchen, Neuzugänge sowie Veranstaltungen informieren und in Dialog mit dem Publikum treten kann. Die Anwendungen dienten auch der langfristigen Archivierung von Informationen. Zudem könne zum Beispiel mit Museumsführungen, die von einer Twitter-Community besucht und kommentiert werden, die Verbindung zwischen realer und virtueller Museumswelt hergestellt werden. Social Media bieten, so Gorgus zusammenfassend, in Ergänzung zu anderen Aktivitäten „die Möglichkeiten, von denen die Museumsszene mindestens seit den 1970er Jahren schon redet: (...), viele zu erreichen, zu beteiligen, zu integrieren und das Museum für einen größeren Kreis zu öffnen“ (S. 136).

Trotz der eingangs betonten Kritik hinsichtlich der nicht geführten Partizipationsdiskussion lohnt der Band insgesamt vor allem aufgrund der Stärke seiner Einzelbeiträge, die Einblicke und Reflektionen über konkrete Museumsprojekte geben, welche versuchen, das Verhältnis zwischen Besucher/innen und Museen lebendiger zu gestalten.

Anmerkung:
1 Vgl. z.B. Beat Hächler, Gegenwartsräume. Ansätze einer sozialen Szenografie im Museum, in: Susanne Gesser u.a. (Hrsg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 136–145, oder Matthias Schnegg, Szenografie partizipativ. Der partizipative Ausstellungsraum und die partizipative Formfindung, in: Gesser, Das partizipative Museum, S. 179–185.

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